Progrom-Gedenkstunde muss ausfallen

Bad Sobernheim. Es gab einen minutiösen Plan für das jährliche Gedenken an den Pogrom gegen die jüdischen Bürger Sobernheims im November 1938. Ein Rundgang zu den bereits verlegten Stolpersteinen vor den Häusern, die bis 1942 deren Wohnungen waren, sollte am 8. November in die ökumenische Gedenkstunde münden, die diesmal in der Mensa des Emanuel-Felke-Gymnasiums stattfinden sollte. Doch die Veranstalter hatten die Rechnung ohne das Corona-Virus gemacht. Beides muss auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.

Die Enttäuschung ist ihm deutlich anzumerken, als Sascha Müller darüber berichtet, wie die Veranstaltung hätte ablaufen sollen. Im Namen des Kulturforums hatte er die Initiative zur Verlegung der Stolpersteine angestoßen und mit dem Arbeitskreis Synagoge ins Werk gesetzt. Müller bedauert die Absage für den 8. November, betont aber: „Da Ganze ist nur aufgeschoben. Wir werden im nächsten Jahr einen geeigneten Zeitpunkt finden, um das Gedenken nachzuholen.“

Immerhin ist es gelungen, 13 Stolpersteine zu verlegen. „Da haben die städtischen Arbeiter sehr gute Arbeit geleistet und Anregungen zur Anordnung in den familiären Bezügen aufgenommen“, unterstreicht Müller. Eingelassen in die Gehsteige regen die quadratischen Steine mit ihrer glänzenden Messingplatte dazu an, innezuhalten, Namen und Schicksale der einstigen Bewohner der Häuser wahrzunehmen. „Es wird auf jeden Fall eine weitere Runde geben“, kündigt Sascha Müller an. Mit den ersten 13 Steinen sind noch längst nicht alle Sobernheimer Opfer erfasst.  

Der katholischen wie auch der evangelischen Kirchengemeinde ist es ein Anliegen, dass in einer Gedenkstunde auch wieder an alle jüdischen Opfer des Nazi-Terrors erinnert wird. „Das Gedenken an den Pogrom hat in Bad Sobernheim seit 1988 Tradition und die Akzeptanz ist stetig gewachsen“, erklärt Pfarrer Günter Hardt. „Gerade weil in unserer Gesellschaft zurzeit wieder so viel Antisemitismus mit Händen zu greifen ist, ist es die Verantwortung der Kirchen, ein Bewusstsein dafür aufrecht zu erhalten.“

Dem pflichtet sein evangelischer Kollegen, Pfarrer Christian Wenzel, bei: „Es geht um die Erinnerung an die jüdischen Opfer, aber auch um die Aufarbeitung der Ursachen von Antisemitismus und Judenfeindschaft in Religion und Gesellschaft.“ Auch die Frage nach den Tätern müsse in den Blick kommen sowie die Tatsache, dass Sobernheimer Christen der Verschleppung ihrer jüdischen Mitbürger schweigend zugesehen hätten.

Enttäuschung herrscht auch im Emanuel-Felke-Gymnasium. Der Leistungskurs Geschichte der Jahrgangsstufe 12 hat sich anhand der Stolpersteine mit dem Thema Holocaust befasst. „Die Schülerinnen und Schüler waren sehr betroffen, als wir die einzelnen Stolpersteine in den Straßen angesehen und über die Opfer gesprochen haben“, berichtet Diana Pfeifer-Blaum, die den Kurs unterrichtet. Es war geplant gewesen, dass die jungen Leute ihre Eindrücke in die geplante Gedenkstunde einbringen. „Wir werden daran weiterarbeiten“, stellt die Lehrerin in Aussicht und kündigt eine von den Jugendlichen gestalteten Poster-Ausstellung an.

An Anna Hartheimer erinnert der Stolperstein vor dem Haus Hüttenbergstraße 12, heute das Wohnhaus von Sascha Müller (4. von links). Pfarrer Günter Hardt, Pfarrer Christian Wenzel, Hans Eberhard Berkemann, Diana Pfeifer-Blaum und Andrea Coch sehen die Steine als Teil der Bad Sobernheimer Erinnerungskultur.

Einer von 13 Stolpersteinen erinnert an das Schicksal von Anna Hartheimer, die in der Hüttenbergstraße 12 wohnte, 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert und ermordet wurde. Hans Eberhard Berkemann hat einen Bericht von Zeitzeugen archiviert, die berichteten, dass sich die schwer pflegebedürftige Frau mit Händen und Füßen wehrte, als sie 26. Juli 1942 aus ihrem Haus geholt und in einen Möbelwagen verfrachtet wurde. Den Menschauflauf, den diese Aktion verursachte, nahm Friederike Wolff wahr, die wenige Meter davon entfernt in der Hüttenbergstraße wohnte. Die energische Frau, die nach dem Tod ihres Mannes dessen Metzgerei weiterführte, reagierte und warf ihr gesamtes Geschirr aus dem Fenster. „Ihr wollt mich nicht, dann kriegt ihr auch nicht mei‘ Sach!“, schrie sie den Nazi-Schergen entgegen. Elfriede Wolff war es auch, die ein Jahr lang zusammen mit der Haushälterin des katholischen Pfarrers heimlich eine Versorgung der jüdischen Bevölkerung mit Fleisch organisierte. Die Küche des Pfarrhauses diente als Umschlagplatz, wo das Fleisch in kleinen Portionen abgeholt werden konnte.  

Bild und Text Marion Unger

Oeffentlicher Anzeiger, 06.11.2020