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27.01.2021
Nur einer flüchtete rechtzeitig
(Oeffentlicher Anzeiger / Marion Unger)

16 Bürger aus Sobernheim und umliegenden Orten, die einst zur jüdischen Gemeinde gehörten, kamen im Konzentrationslager Auschwitz um. Seit 25 Jahren gedenkt der Deutsche Bundestag am 27. Januar der Opfer des Nationalsozialismus. Der Tag geht auf die Befreiung des Lagers durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 zurück.

Nur einer aus einer großen Familie kam davon, als die Nationalsozialisten Sobernheimer Bürger jüdischen Glaubens deportierten und ermordeten. Werner Heymann gelang 1933 die Flucht nach Israel, seine übrige Familie wurde ausgelöscht. Dazu gehörten Abraham (72), Frieda (67) und Benno (34), von denen man sicher weiß, dass sie in Auschwitz umkamen, sowie Dora (46), Ernst (45), Katinka (45), Helene (12) und Lotte (11), deren Spur sich im Osten verliert.

„Die Heymanns waren arme Leute, die mit Vieh handelten und wahrscheinlich auch als Metzger tätig waren, aber immer am Existenzminimum lebten“, erklärt Hans Eberhard Berkemann. In seinen jahrelangen Recherchen im Bundesarchiv in Koblenz hat er herausgefunden, dass die Familie zunächst in der Großstraße wohnte, dann in der Hintergasse/Ecke Mauergasse. Um 1930 zogen sie nach Bad Kreuznach. Wie sie der Weg danach in die Konzentrationslager führte, ist unbekannt. In den Gedenkbüchern des KZ Auschwitz, die zum Bestand des Archivs des früheren Fördervereins Synagoge gehören, sind die Namen der Familienangehörigen verzeichnet. 

Berkemann fand außerdem heraus, dass Werner Heymann in Israel als Bäcker arbeitete und dort den Namen Ohaim Mann annahm. Nach dem Krieg nahm er mit der Stadt Sobernheim Kontakt auf und erkundigte sich nach den Gräbern seiner Vorfahren auf dem Friedhof am Domberg.

Aus Sobernheim wurden außer den Heymanns Friedel Katzenstein (22) und Klara Lehmann (59) in Auschwitz ermordet. Aus Staudernheim fielen Jenny Brück (57), Emma Fröhlich (58), Adolf Jonas (57), Berta Jonas (53), Alice de Jonge (29) und Thekla Stern (65) dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer. Das Leben von Else Ermann (40) aus Monzingen sowie von Paula Ochs (53), Emil Scholem (68) und Heinrich Scholem (58) aus Odernheim endete ebenfalls in Auschwitz. Die Orte ihrer Herkunft gehörten seit 1930 zur jüdischen Gemeinde Sobernheim.

Marion Unger


27.01.2021
Die Geschichte der Thora-Rolle aus Bad Sobernheim
(Offentlicher Anzeiger / Marion Unger)

Am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, dem 27. Januar, erhält der traditionelle Festakt im Bundestag einen besonderen Akzent: Die Restaurierung einer historischen Thora-Rolle wird öffentlich vollendet. Ein ritueller Schreiber wird nach altem Brauch die letzten zwölf Buchstaben auftragen. Im Rückblick auf die Chronik dieser 200 Jahre alten hebräischen Bibel tun sich Parallelen zu der Thora-Rolle auf, die im Bad Sobernheimer Kulturhaus Synagoge aufbewahrt wird.

 „Die Geschichte unserer Thora-Rolle liest sich wie ein Krimi“, erklärt Hans Eberhard Berkemann vom Arbeitskreis Synagoge im Kulturforum Bad Sobernheim. „Es ist ein Wunder, dass sie heute wieder an ihrem Ursprungsort zu sehen ist.“ Die ursprünglich acht Rollen mit den fünf Büchern Mose, nach jüdischem Ritus mit einer Gänsefeder auf Pergament geschrieben, waren wichtigster Bestandteil der Gottesdienste. Bekleidet mit einem kostbar bestickten Mantel hatten sie ihren Platz im Thora-Schrein. 1938 schändete ein Nazi-Schlägertrupp die Synagoge. Die Männer stahlen die Silberbeschläge von der Hülle, rissen die Halbedelsteine ab und warfen die Rollen achtlos in eine Ecke.

Hubert Schlarb war es wohl zu verdanken, so vermutet Berkemann, dass sie gerettet wurden. Schlarb pflegte eine enge Beziehung zum letzten Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, Alfred Marum. Verbürgt ist, dass er die Rollen in seinem Garten vergrub und sie seinem Freund wieder aushändigte, als dieser 1948 aus dem amerikanischen Exil zurückkehrte. Zwei davon erhielt eine französische jüdische Militärgemeinde in Deutschland. Die restlichen sechs brachte Marum mit Genehmigung der französischen Militärbehörde in die USA. Zwei schenkte er seiner neuen Gemeinde in Andover (Massachusetts), vier weitere verteilte er auf Rabbiner-Schulen in Neu-England.

Als sich der Umbau der Sobernheimer Synagoge zum Kulturhaus der Vollendung näherte, wurde die Familie Marum aktiv. Dr. Kathrin Krakauer, Enkelin von Alfred Marum, spürte eine der Thora-Rollen in Cincinnati (Ohio) auf. Im Handgepäck brachte sie das kostbare Stück nach Deutschland, als Geschenk zur Einweihung des Kulturhauses. Umhüllt von einem neuen Mantel, einem Geschenk der Ostermann-Enkeltochter Tamar Strauss, angefertigt in Israel, ruht sie nun dort als Erinnerung an die jüdische Gemeinde.

Geht man noch weiter in die Geschichte dieser Thora zurück, so trifft man auf den Sobernheimer Bürger Isaak Werner, der sie seiner Gemeinde einst geschenkt hatte. Ursprünglich war er Pferdehändler und Privatbankier und wohnte am Obertor. Als er die Stadt 1859 verließ, um in Paris als Bankier zu wirken, schenkte er das Haus Marumstraße 20, der jüdischen Gemeinde. Seit 1816 diente es als Betsaal, Schule und Gemeindezentrum. Isaak Werner ging später nach Spanien und beteiligte sich – inzwischen mit dem Adelstitel „Baron“ ausgezeichnet – als Financier am Bau des Suezkanals. Irgendwo in Nordafrika erwarb er die Thora-Rolle.

Als diese schließlich 2010 nach Bad Sobernheim zurückkehrte, fanden Untersuchungen der Universität Jerusalem, vermittelt durch den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, ihren Ursprung heraus: Vor etwa 350 Jahren muss sie im nordafrikanischen Raum geschrieben worden sein. Ihr buchstäblich biblisches Alter hat sie nicht ohne Blessuren überstanden. Aufgrund der Schäden ist sie nun nach jüdischem Verständnis nicht mehr „koscher“, also rein, und daher für den Gottesdienst nicht geeignet.

Allein aus finanziellen Gründen kommt eine Restaurierung nicht in Betracht. Anders bei der Thora-Rolle, die im Bundestag feierlich fertiggestellt werden wird. Das Pergament aus dem oberpfälzischen Sulzbach hat mehrere Katastrophen überdauert: einen Stadtbrand und die Novemberpogrome von 1938 und sie wurde vor den Nazis versteckt. Nach dem Akt im Bundestag, wird sie ihren Platz in der Synagoge von Amberg in der Oberpfalz finden. Es ist eine symbolträchtige Handlung in diesem besonderen Jahr, in dem 1 700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gefeiert wird.

Übergabe der Thorarolle 2010 (Foto: Marion Unger)

Marion Unger